La Gacilly – Baden Photo 2025: Themen, Stimmen & Einblicke im Gespräch mit Festivaldirektoren Lois und Silvia Lammerhuber

Silvia und Lois Lammerhuber bei der Eröffnungsfeier des Festivals “La Gacilly – Baden Photo 2025” im Badener Stafttheater © Johannes Zinner

Wer in diesen Wochen durch Baden spaziert, bewegt sich nicht nur durch Parks und Gassen, sondern durch ganze Bilderwelten. Sieben Kilometer Fotografie unter freiem Himmel, eingebettet in Rosen, Kurarchitektur und Stadtgeschichte. Das Festival “La Gacilly – Baden Photo” zeigt auch 2025 wieder, was es längst ist: ein Ort, der Fotografie nicht nur präsentiert, sondern Geschichten erzählt. Und der zum Nachdenken einlädt.

In diesem Gespräch, das ich gemeinsam mit den Kollegen vom „Fotopodcast“ (Ulrike Schumann, Thomas Pöhler und Michael Eloy-Werthmüller) sowie Pia Parolin geführt habe, blicken wir mit Festivaldirektor Lois Lammerhuber und seiner Frau Silvia auf die diesjährige Ausgabe von Europas größter Freiluftausstellung.

Die Themen des Gesprächs

Festivalauftakt: Zwischen Harmonie und Hoppalas

Der Auftakt des diesjährigen Fotofestivals in Baden war von Kontrasten geprägt: Einerseits gab es einen bemerkenswerten Medienrundgang, andererseits lief es bei der Eröffnungsveranstaltung im Stadttheater alles andere als rund. Lois Lammerhuber spricht von einem „ganz großen Glück und einer ganz großen Katastrophe“.

Als Höhepunkt hebt er den Medienrundgang hervor: „Ich habe nicht gedacht, dass man das Vorjahr noch in irgendeiner Weise toppen kann, aber was sich gestern ereignet hat, war wahrscheinlich die entspannteste öffentliche Veranstaltung, an der ich jemals teilhaben durfte.“

Bei strahlendem Sonnenschein sei eine große Gruppe aus Freunden, Journalisten, Fotografen und Gästen „eine 7-Kilometer-Route abgeschritten, sich zwischendurch witzige, unterhaltsame, kluge Erzählungen angehört und sich ausgetauscht“ haben.

Da wurden keine Verträge unterschrieben, aber ich glaube, da ist jeder mit einer Fülle von Vorhaben nach Hause gegangen.
— Lois Lammerhuber

Dem gegenüber steht die Eröffnungsveranstaltung im Stadttheater Baden, die für Lois ein Rückschlag war: „Wir waren in einem wunderbaren Ort, dem Stadttheater Baden, und dachten, dass wir alles, was bisher war, toppen könnten. Aber leider hat uns das Theater nicht die technischen Dienste geleistet, von denen wir ausgegangen sind.“

Besonders problematisch war die eingeschränkte Sicht auf die Projektionen: „Ich habe Fotos davon gesehen. Die Leute haben wirklich nur ein Drittel des Bildes gesehen, das war katastrophal.”

Genau das Gegenteil wollte man erreichen: „Wir wollen, dass Enthusiasten hinausgehen und nicht frustrierte Menschen.“

Silvia ergänzt jedoch, dass es nicht nur negative Reaktionen gab. Trotz der technischen Mängel sei das Interesse und der Zuspruch beachtlich gewesen: „Immerhin [...] haben 700 Leute Platz gefunden, wobei 300 bis 400 aus unserem Bereich kamen, also von den Fotografen und Journalisten, und dann ein paar Hundert waren einfach Interessierte.“ Das Konzept eines „Fotokonzerts mit Musik und Bildern“ hat offenbar überzeugt – viele Gäste haben das Angebot gerne angenommen.

Auch die Resonanz auf die vorgestellten Projekte sei positiv gewesen.

Was an Fotografie oder an den Projekten vorgestellt wurde, hat alle sehr begeistert.
— Silvia Lammerhuber

Unterm Strich bleibt die Erkenntnis: Die Substanz des Abends hat gestimmt. Nicht zuletzt die emotionale Relevanz des präsentierten Themas ME/CFS hat vielen spürbar gemacht, was das Festival leisten kann und leisten möchte.

© Johannes Zinner

© Johannes Zinner

ME/CFS-Betroffene Cornelia Spahn bei ihrem bewegenden Auftritt auf der Bühne des Stadttheaters: Mit einem selbst verfassten Gedicht und ihrer Präsenz setzte sie einen starken, emotionalen Akzent zur Eröffnung des Festivals. Ihre Worte, ihr Auftritt und der Kontext der gezeigten Bilder blieben nicht nur dem Publikum, sondern auch den Festivalmachern lange im Gedächtnis. © Johannes Zinner

Das Eröffnungskonzert des Beethoven Frühling Festival-Orchesters unter der Leitung von Dorothy Khadem-Missagh wurde mit einer besonderen visuellen Ebene ergänzt: Während Aaron Coplands „Appalachian Spring Suite“ erklang, wurden ausgewählte Fotografien des Festivals auf einer Großleinwand gezeigt. © Johannes Zinner

Relevanz und Verantwortung: Fotografie als gesellschaftliches Medium

Ein zentrales Anliegen des Festivals, wie im Gespräch deutlich wird, ist die gesellschaftliche Wirkungskraft der Fotografie.

Für Lois und Silvia Lammerhuber steht fest: Fotografie darf nicht nur schön oder dekorativ sein, sondern sie kann und soll auch gesellschaftliche Relevanz erzeugen, Aufmerksamkeit schaffen und Veränderungsprozesse anstoßen.

Besonders eindrücklich wurde dies am Beispiel der Ausstellung über die Krankheit ME/CFS.

Dass das von uns geplante emotionale Herzstück, das wir voriges Jahr ausgelöst haben, das Einschreiten in der Öffentlichkeit, in der Gesellschaft über das Projekt ME/CFS, dass das wirklich extrem positiv wahrgenommen wurde.
— Lois Lammerhuber

Die Bilder von Brent Stirton, der Betroffene emapthisch begleitet und porträtiert hat, rücken die bislang oft ignorierte Krankheit ins öffentliche Bewusstsein.

Für Lois steht fest: „Das ist eine Investition in die Zukunft. Das Thema wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen. Und es ist gesellschaftlich relevant.“

Die Art der Rezeption dieses Themas hat gezeigt, wie Fotografie zum Vehikel für größere gesellschaftliche Diskurse werden kann.

Diese Erfahrung führt zu einem grundlegenden Gedanken, den Lois wie folgt formuliert:

„Ich glaube, dass unsere Besucher jetzt schon viel über Fotografie gelernt haben und damit umgehen können. Ich glaube auch, dass Fotografie nicht nur zur Besserung der Welt beitragen, sondern die Welt erhalten kann. Ein Stück weit auch retten kann.“

Es ist eine klare Haltung, die hinter dem Festival steht.

Fotografie soll nicht nur abbilden, sondern mitfühlen, einordnen, aufrütteln – und im besten Fall etwas bewegen.

Für Lois und Silvia Lammerhuber wird genau darin die Zukunft des Festivals liegen: nicht im bloßen Zeigen, sondern im Initiieren.

Nicht im Wiederholen, sondern im Infragestellen. Und nicht zuletzt im Erzählen von Geschichten, die sonst vielleicht nie gehört würden.

Ausstellungshighlights 2025 – Fokus: Australien als fotografischer Spiegel

Der diesjährige geografische Schwerpunkt des Festivals liegt auf Australien, und zwar nicht nur als Land, sondern als vielschichtiger Kontinent mit kolonialer Vergangenheit, gegenwärtigen Spannungen und großer künstlerischer Vielfalt.

Für Lois ist klar: Die Auswahl der Positionen ist bewusst breiter als reine Reportagefotografie gedacht – es geht darum, verschiedene Ausdrucksformen und Sichtweisen zusammenzuführen.

„Wir haben neun australische Fotokünstler dabei“, erklärt Lois.

Nur drei von ihnen – Adam Ferguson, Matthew Abbott und Viviane Dalles – bewegen sich in der klassischen Sprache des Fotojournalismus.

Die anderen fünf Positionen, so Lois, „sind Künstler:innen“.

Dazu gehört etwa Bobbi Lockyer, eine Fotografin der First Nations, deren Arbeiten tief in der kulturellen Symbolik der Ureinwohner verwurzelt sind.

Bobbi Lockyer kann man nicht als Fotodokumentation verstehen. Das changiert fotografisch zwischen Porträt und ist überwiegend künstlerisch gedacht.
— Lois Lammerhuber

Beeindruckt zeigt er sich auch von der Arbeit von Tamara Dean, deren Bilder in der Orangerie ausgestellt sind.

Was auch immer es ist – die Art und Weise, wie du deine Geschichte online vermittelst, kann ein„Das sind wirklich ätherische Bilder, bei denen die Künstlerin ihren Körper verwendet, um eine Verbindung zwischen der bedrohten Natur und dem, was die Menschheit tun soll, herzustellen.“ en gewaltigen Unterschied ausmachen.
— Lois Lammerhuber

Auch diese Werke sind für Lois eindeutig Teil des gesellschaftlichen Auftrags des Festivals, auch wenn sie auf den ersten Blick eher poetisch wirken: „Sie sind leicht konsumierbar, sie tun nicht weh, es sind schöne Bilder.“

“Auf der Suche nach einem Garten Eden”: Ausstellung von Tamara Dean in der Orangerie

Eine weitere spannende künstlerische Position kommt von Anne Zahalka, die sich mit Dioramen auseinandersetzt, also musealen Inszenierungen von Natur, die sie fotografisch nachbildet.

Lois erläutert: „Dioramen sind aus der Zeit gefallene Objekte, große Schaukästen mit Taxidermie, also mit ausgestopften Tieren. Und das macht sie mit fotografischen Mitteln.”

Auch Trent Parke, der einzige australische Magnum-Fotograf, ist Teil des Festivals.

Für Lois ist seine Arbeit besonders bemerkenswert, weil er sich darin radikal auf das eigene Land beschränkt:

„Er bewegt sich wirklich grenzgängerisch zwischen künstlerischen und dokumentarischen Positionen. Und dann ist da noch die Radikalität seines Arbeitsansatzes, dass ihn nichts außerhalb seines Heimatlandes interessiert.“

Silvia betont, dass das Thema Australien gerade deshalb viele Besucher interessiert, „weil es so weit weg ist. Man kennt zwar einige Klischees, aber Surfen, Fun und dass es ein bisschen zu heiß auf der Haut ist, das schon.“

Was die Ausstellung aber auszeichne, seien „essentiell recherchierte und fotografierte Geschichten“.

Die Präsentation australischer Wirklichkeiten geschieht also bewusst vielschichtig zwischen politischer Reflexion, visueller Poesie und klassischer Reportage.

Für Lois ergibt das ein kraftvolles Gesamtbild, das dem Publikum nicht nur Wissen über Australien vermittelt, sondern auch aufzeigt, wie Fotografie Kulturen sichtbar machen kann.

Internationale Highlights: Umwelt, Gesellschaft, Geschichte

Neben dem Fokus auf Australien präsentiert das Festival 2025 eine beeindruckende Vielfalt internationaler Fotografie – von Umweltreportagen über gesellschaftliche Studien bis hin zu retrospektiven Arbeiten großer Namen.

Lois und Silvia geben im Gespräch einen Einblick in die kuratorischen Entscheidungen und thematischen Schwerpunkte.

Eines der zentralen Werke stammt von George Steinmetz: eine monumentale Langzeitreportage über die Frage, ob es möglich ist, zehn Milliarden Menschen zu ernähren.

Lois fasst zusammen:Er hat zehn Jahre lang in 37 Ländern daran gearbeitet, diesen Befund zu erheben […], um die Frage mit Ja zu beantworten.“

Steinmetz dokumentiert Produktionsbedingungen, Transportwege und agrarische Innovationen – eine visuelle Recherche zu einem der drängendsten Themen unserer Zeit.

Ergänzt wird diese Arbeit durch eine fotografische Erzählung über Lebensmittelverschwendung von Dieter Bornemann, der gemeinsam mit seiner Frau dokumentiert, „was Familien wegwerfen – und was man daraus noch hätte machen können“.

Ein weiteres starkes Umweltthema setzt Mitch Dobrowner mit seinen Aufnahmen von Superzellen und Tornados.

Laut Lois haben diese spektakulären Naturphänomene auch „ihre Berechtigung in unserem Narrativ über die Umwelt“, da sie im Zusammenhang mit der Erderwärmung stehen.

Im Bereich der künstlerischen Fotografie sind unter anderem Alice Pallot und Bernard Plossu vertreten.

Pallot zeigt mit ihrer Serie zur Algenblüte in der Bretagne ein visuell poetisches, aber ökologisch alarmierendes Phänomen.

Plossu hingegen wird in einer Art Retrospektive gewürdigt: „Ein französisches Urgestein [...] mit Bildern aus aller Herren Länder, [...] sehr gut konsumierbare Fotografie, Schönheit. Einfach im Bild.“

Einen starken gesellschaftlichen Impuls setzt auch Gael Turin, der sich im Benin einer von Voodoo inspirierten Subkultur widmet und damit laut Lois einen „komplett unerwarteten Zugang“ findet – als Spiegel einer möglichen Rückbesinnung auf Rituale und Biodiversität.

Auch die großen Namen der Fotogeschichte fehlen nicht: Joel Meyerowitz und Alfred Seiland werden gemeinsam präsentiert: zwei fotografische Perspektiven auf die USA, aufgenommen zur selben Zeit, mit ähnlicher Technik und einer verblüffenden Ästhetik.

Zwischen ihnen ist eine Serie von Louise Johns platziert, die den amerikanischen Mittleren Westen dokumentiert – ein Thema, das schon bei früheren Festivals in Baden durch Positionen wie William Albert Allard präsent war.

Am südlichen Ende des Parks befindet sich die Ausstellung über Papua-Neuguinea von Ulla Lohmann. Sie zeigt das Leben eines indigenen Volkes in direkter Nachbarschaft zu einem aktiven Vulkan.

Für Lois ist das mehr als eine Expedition:

Es geht um Resilienz, also was der Mensch alles aushalten kann und wie er daraus sogar eine Art Wohlbefinden ableiten kann.

Eine weitere bemerkenswerte Arbeit ist Hans-Jürgen Burkhards Serie „An Tagen wie diesen“*.

Das ist eine Reflexion über Deutschland, die ihresgleichen sucht [...] mit einer brutalen Offenheit [...] ein Spiegel: So sind wir.
— Lois Lammerhuber

Die Bilder, kombiniert mit deutschen Liedtexten, zeigen eine poetische und zugleich entlarvende Sicht auf gesellschaftliche Stimmungen.

Besondere Beachtung findet auch die legendäre FAZ-Kampagne von Alfred Seiland, in der Prominente wie Billy Wilder, Loriot oder Nadja Auermann mit der Zeitung inszeniert wurden.

Das Motto: "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf"

Lois betont: „Für mich ist das das Beste, was je fotografiert wurde, weil es wirklich klug ist.“

Die kreative Idee, Personen nur verdeckt hinter der Zeitung zu zeigen, lässt den Betrachter hinterfragen – und entdecken.

Insgesamt wird deutlich: Die Bandbreite des Festivals reicht von klassischen Reportagen über Klimawandel und Ernährung bis hin zu kunstvoll inszenierter Konzeptfotografie.

Partizipation und Identifikation: Wie die Stadt Baden das Festival mitträgt

Ein zentrales Element des La Gacilly-Baden Photo Festivals ist nicht nur die Ausstellung selbst, sondern auch die Art und Weise, wie sie in die Stadt hineinwirkt.

Für Lois und Silvia Lammerhuber ist klar: Das Festival lebt vom Dialog – nicht nur mit dem Publikum, sondern auch mit der Stadt, ihren Institutionen und ihren Menschen.

Dabei geht es weit über reine Zustimmung oder Zuschauerzahlen hinaus.

Baden identifiziert sich sichtbar mit dem Festival.

Lois hebt besonders hervor, wie stark sich einzelne Akteure in der Stadt engagieren – etwa Hotels, Geschäfte und Betriebe, die auf eigene Kosten Bilder aus dem Festivalprogramm an ihre Fassaden hängen.

Er sagt dazu: „Die machen das auf ihre eigenen Kosten. Die Rahmen zu kaufen und zu montieren, ist nicht billig. Ich schätze, dass dafür zwischen 5.000 und 10.000 Euro investiert werden, um ein Bild aufzuhängen.“

Ein Beispiel dafür ist das Röntgeninstitut beim Bahnhof, das jährlich seine Fassade abräumen lässt, um Platz für ein großformatiges Foto zu schaffen.

Für die Lammerhubers ist das mehr als nur Unterstützung – es ist ein „Ritterschlag“, wenn sich die Stadt so sehr mit einem Festival identifiziert.

Auch auf Seiten der Bürgerschaft zeigt sich diese Haltung konkret: Viele Badener leisten freiwillige Beiträge, um das Festival CO₂-neutral zu machen.

Lois sagt: „Es ist anders als Schulterklopfen, wenn du eine Überweisung auslösen musst. Das ist eine andere Kategorie von Anerkennung.“

Auch bei der Integration in den Stadtraum denkt das Festival weiter.

So wurde der Weg durch die Ausstellung in diesem Jahr mit einer besonderen Idee verbunden: Es gibt Bewegungs- und Dehnungsstationen, die in Kooperation mit dem Kurhaus Baden kuratiert wurden.

Das Ergebnis ist ein neuer Aspekt des Festivalerlebnisses, der Kunst, Gesundheit und Bewegung miteinander verbindet – niedrigschwellig, kreativ und identitätsstiftend.

Baden ist nicht nur Austragungsort, sondern aktiver Teil des Festivals.

Die Stadt wird zur Bühne, zur Galerie, zur Partnerin – und ihre Menschen zum Publikum und Mitgestalter zugleich.

Kuratierte Reibung: Bildinhalte, Tabus und mutige Entscheidungen

Das Fotofestival in Baden ist aber nicht konfliktfrei – und das soll es auch nicht sein.

Für Lois und Silvia Lammerhuber gehört es zum Anspruch, Fotografie nicht zu glätten, sondern Reibung zuzulassen.

Denn Reaktionen – auch kontroverse – zeigen, dass sich Menschen mit den Inhalten auseinandersetzen. Und genau darum geht es.

Ein Beispiel ist die Ausstellung von Hans-Jürgen Burkhardt, der in seiner Serie „An Tagen wie diesen“ Deutschland anhand populärer Liedtexte porträtiert.

Die Serie enthält auch Bilder, die Körperlichkeit oder Nacktheit thematisieren, darunter ein Bild mit einer nackten Frau in einem Swingerclub.

Lois erzählt: „Es war ja auch nichts zu sehen, außer die relativ hübschen Brüste einer attraktiven Dame.“

Trotzdem reichte das offenbar aus, um eine Beschwerde auszulösen: Eine Kunsterzieherin hat sich an die Bürgermeisterin und ihn gewandt.

Wie damit umgehen?

Lois schildert die Reaktion pragmatisch: „Ich habe die Bürgermeisterin angerufen und gefragt: Was machen wir damit? Ich habe für diesen Mist keine Zeit, also hängt es ab.“

Die Entscheidung fiel schnell, um nicht in eine ermüdende Rechtfertigungsspirale zu geraten: „Denn wenn wir jetzt antworten, dann schreiben wir 50 Mal hin und her [...] Das lohnt sich alles nicht.“

Gleichzeitig betonen Lois und Silvia Lammerhuber, dass sie solche Diskussionen willkommen heißen – solange sie konstruktiv geführt werden.

Silvia erinnert an frühere Fälle: „In der Vergangenheit gab es zum Beispiel Aufregung um abgesägte Nashörner. Und jetzt auch ein totes Känguru in den Armen des Kängurujägers.“

Auch die ikonische Fotografie von Matthew Abbott, auf der ein Känguru am Feuer vorbeispringt, habe Kritik ausgelöst.

Der Umgang mit solchen Themen zeigt: Das Festival scheut sich nicht vor sensiblen Inhalten, trifft aber auch situativ kluge Entscheidungen.

So entsteht ein Balanceakt zwischen künstlerischer Freiheit, gesellschaftlichem Diskurs und öffentlichem Raum.

Silvia bringt es auf den Punkt: „Ich denke, es darf auch mal Reibung geben – das zeugt von Interesse.“

Das Festival versteht sich somit nicht nur als Ausstellungs-, sondern auch als Reflexionsraum – für Schönheit ebenso wie für Widerspruch.

Struktur und Dramaturgie: Der fotografische Spaziergang durch Baden

Eines der Alleinstellungsmerkmale des Festivals La Gacilly-Baden Photo ist seine besondere Präsentationsform: Die Fotografien werden nicht in geschlossenen Räumen, sondern unter freiem Himmel entlang eines sieben Kilometer langen Parcours präsentiert, der in die Parks, Plätze und Gassen der Stadt eingebettet ist.

Für Lois und Silvia Lammerhuber ist dieser kuratierte Spaziergang nicht nur ein logistisches, sondern auch ein dramaturgisches Konzept.

Lois beschreibt das Erlebnis als „Spaziergang mit Tiefgang“.

Der Medienrundgang sei „ein Spaziergang mit 100 Freunden, die wirklich tiefenentspannt bei strahlendem Sonnenschein eine 7-Kilometer-Route abgeschritten haben.”

Die Besucher bewegen sich dabei nicht einfach von Bild zu Bild, sondern durchqueren Themen, Perspektiven und Atmosphären.

Die Architektur der Stadt wird zur Bühne, das Gehen zur Methode.

Doch es geht um mehr als nur Bewegung.

Der Weg ist Teil der Erzählung: Der Parcours ist so angelegt, dass er thematische Kontraste, ästhetische Übergänge und emotionale Spannungsbögen schafft. Lois erklärt, dass auf der Hauptachse, dem einst „heiligen“ Rosenweg, dieses Jahr erstmals die Bilder von Ulla Lohmann zu sehen sind.

Ihre Arbeiten über das Leben mit Vulkanen fügen sich nahtlos in die Flanierzone ein.

Lois sagt: „Das sind schöne Bilder aus einer exotischen Welt. Das wird sicher gut funktionieren.“

Gleichzeitig enthält die Serie aber auch ernste Inhalte. „Die Erklärung dazu muss man lesen“, so Lois.

Diese doppelte Lesbarkeit sei gewollt.

Der Spaziergang durch das Festival ist somit mehr als ein Rundgang: Er ist eine visuelle Erzählung im öffentlichen Raum, die inspiriert, überrascht und im besten Fall verändert.

Fotografie als Auftrag: neue Werke, neue Perspektiven, neue Wege

Das Festival La Gacilly-Baden Photo versteht sich nicht nur als Bühne für vorhandene Werke, sondern will Themen setzen, Arbeiten initiieren und gesellschaftliche Diskussionen anstoßen.

Für Lois und Silvia Lammerhuber ist das ein wachsender Teil ihrer kuratorischen Verantwortung: Fotografie nicht nur zu zeigen, sondern auch in Auftrag zu geben – gezielt, relevant und zukunftsorientiert.

Wenn man über die Weiterentwicklung eines solchen Festivals nachdenkt, dann sind das genau die Positionen, um die es in Zukunft mehr gehen muss. Dass wir nicht nur vorhandenes Material benutzen, sondern auch vieles in Auftrag geben.
— Lois Lammerhuber

Ein Beispiel dafür ist das bereits erwähnte ME/CFS-Projekt mit Brent Stirton, das in Zusammenarbeit mit einer österreichischen Stiftung beauftragt wurde.

Stirton hat zehn Betroffene in Österreich fotografiert – ein sensibles Thema, das er mit großer Empathie umgesetzt hat.

Für Lois ist dieses Projekt ein Vorbild dafür, wie Fotografie gesellschaftlich wirksam werden kann.

Diese Richtung soll weiter gestärkt werden.

Auch in anderen Bereichen denkt das Festival in gesellschaftlichen Zusammenhängen.

Ein Beispiel ist das bilaterale Schulprojekt, bei dem 16 Schulen aus Niederösterreich und 16 aus der Bretagne eingeladen wurden, sich im Vorfeld der Olympischen Spiele mit den Werten des Sports auseinanderzusetzen.

Die Schüler gestalteten dazu eigene Fotoarbeiten. Silvia: „Zum Teil sind diese sehr, sehr interessant und überraschend ausgefallen.“

Dazu kommt die Kooperation mit den Österreichischen Bundesforsten, die anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens ein Kunstprojekt in Auftrag gaben: Mitarbeiter sammelten Naturmaterialien aus den vier Jahreszeiten, um daraus Motive weltberühmter Gemälde – etwa Klimts „Der Kuss” – nachzubilden.

Diese strategischen Erweiterungen – von der Auftragsfotografie bis zur Bildungsarbeit – markieren eine neue Phase im Selbstverständnis des Festivals.

Es geht nicht mehr nur darum, Fotografie auszustellen.

Vielmehr geht es darum, durch Fotografie Impulse zu setzen, Dialoge zu eröffnen und gesellschaftliche Fragen ins Bild zu bringen.

Oder, wie Lois es formuliert: „Fotografie kann nicht nur zur Besserung der Welt beitragen, sondern auch dazu, die Welt zu erhalten. Ein Stück weit auch retten.“

Zurück zur Nähe: Das eigene Land als fotografisches Terrain

Ein roter Faden, der sich durch viele Ausstellungen des diesjährigen Festivals zieht, ist die Rückbesinnung auf das Nahe, das Eigene, das Vertraute.

Eine Entwicklung, die mehr ist als nur ein Trend – sie steht exemplarisch für eine neue Haltung in der Fotografie: weg vom exotischen Fernblick, hin zum genauen Hinsehen vor der eigenen Haustür.

Lois hebt dabei mehrere Fotografen hervor, die diesen Weg auf ganz unterschiedliche Weise gehen.

Allen voran Adam Ferguson, der lange Zeit als Kriegs- und Krisenfotograf weltweit unterwegs war – unter anderem in Afghanistan.

Nun fotografiert er das australische Outback, seine eigene Heimat.

Lois erzählt: „Er hat festgestellt, dass es einen großen amerikanischen Modefotografen namens Richard Avedon gibt, der in seinen späten Jahren Amerika fotografieren wollte. Ferguson sagte: ‚Diese Art von Bild hätte ich gerne auch im australischen Outback gezeigt.‘“

Auch Trent Parke, der einzige australische Magnum-Fotograf, geht diesen Weg radikal.

Lois beschreibt ihn als kompromisslos in seiner Ortswahl: „Er ist wirklich grenzgängerisch [...] und interessiert sich für nichts außerhalb seines Heimatlandes.“

Seine Frau Narelle Autio begleitet ihn bei vielen Projekten.

Ihre Bilder zeigen das australische Küstenleben – verwischt, schemenhaft, zwischen Realität und Impression. Auch hier: Nähe statt Ferne.

Ein weiteres Beispiel ist die Serie „An Tagen wie diesen“ von Hans-Jürgen Burkhardt.

Was auf den ersten Blick wie eine leichtfüßige Bildfolge wirken könnte, ist in Wirklichkeit ein vielschichtiger visueller Essay über Deutschland.

Lois betont: „Das ist eine Reflexion über Deutschland, die ihresgleichen sucht. Es ist von einer brutalen Offenheit – ein Spiegel: So sind wir.“

Die Kombination aus Bild, Text und persönlichem Erleben ergibt ein nuanciertes, manchmal unbequemes, aber stets liebevolles Porträt eines Landes.

Für Lois Lammerhuber ist es eine der wichtigsten Aufgaben der zeitgenössischen Fotografie, Identität sichtbar zu machen – nicht irgendwo in der Ferne, sondern im Eigenen.

Und das sei oft sogar schwieriger: „Ich halte das für herausfordernder – und vielleicht noch wichtiger. Denn es gibt uns Identität.“

Ausblick und Haltung: Ein Festival zwischen Kunst, Verantwortung und Zukunft

Zum Ende des Gesprächs wird noch einmal deutlich, wofür das Festival La Gacilly-Baden Photo steht und wohin es sich entwickeln will.

Für Lois und Silvia Lammerhuber ist das Festival mehr als eine Aneinanderreihung von Ausstellungen.

Es ist ein kulturelles Statement, eine Einladung zur Reflexion und ein Versprechen an die Zukunft.

Dabei geht es nicht nur um neue Themen, sondern auch um neue Formen der Zusammenarbeit.

Lois berichtet etwa von ersten Ideen für das Festivaljahr 2026, das unter dem Motto „So British“ stehen soll.

Mit dabei ist: Martin Parr – allerdings nicht mit denselben Bildern wie beim letzten Mal.

Im August 2025 fährt Lois zu ihm, um neue Ausstellungsideen zu besprechen.

Besonders spannend ist die Idee, das Thema Fußball mit britischer Populärkultur zu verknüpfen, die von Parr selbst kuratiert wird.

Was bleibt, ist ein Festival, das Kunst und Leben, Verantwortung und Leichtigkeit sowie Relevanz und Poesie verbindet.

Und das in einer Stadt, die sich nicht nur als Kulisse, sondern als Mitspielerin versteht.

Ein Festival, das seine Besucher einlädt, nicht nur zu schauen, sondern zu sehen. Nicht nur zu konsumieren, sondern zu empfinden. Nicht nur zu applaudieren, sondern mitzudenken.



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Kai Behrmann

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