Reportagefotografie im Wandel: Adam Ferguson über Verantwortung, Kolonialismus und visuelles Storytelling
© Adam Ferguson – Big Sky
Der australische Fotograf Adam Ferguson gehört zu den spannendsten Stimmen der zeitgenössischen Reportagefotografie. In diesem Gespräch reflektiert er über seinen Weg vom Konfliktfotografen zum Chronisten Australiens, über koloniale Narrative, Verantwortung gegenüber den Abgebildeten und die Frage, welche Zukunft die Fotografie im Zeitalter von Smartphones und KI hat.
„Was auch immer es ist – die Art und Weise, wie du deine Geschichte online vermittelst, kann einen gewaltigen Unterschied ausmachen.“
Adam Ferguson ist bekannt für seine intensive Auseinandersetzung mit Konflikten, Gesellschaft und Geopolitik. Seine Arbeiten erschienen in The New York Times, National Geographic und TIME Magazine; er wurde mit Preisen wie dem World Press Photo Award ausgezeichnet. Auf dem Festival “La Gacilly Baden Photo” 2025 haben Pia Parolin und ich mit ihm über sein monumentales Langzeitprojekt Big Sky* gesprochen – eine fotografische Reise ins Herz Australiens, die Themen wie Identität, Kolonialismus, Klimawandel und das Leben in ländlichen Räumen verhandelt.
Das Gespräch zeigt Ferguson als reflektierten Fotografen, der sowohl die künstlerische Freiheit als auch die ethische Verantwortung seines Berufs betont.
Vom „Lost Kid“ zum Fotojournalisten
Adam beschreibt seinen Einstieg in die Fotografie als fast zufällig:
„I kind of fell into photography in my early 20s. I was a bit of a lost young man… And when I saw documentary photography for the first time, I just knew that that’s what I wanted to do with my life and never really looked back.“
Schon früh zog es ihn zu Porträts, die einen Blick „hinter den Vorhang“ ermöglichen. Statt klassisch-ästhetisierter Aufnahmen interessierte ihn das Leben am Rand der Gesellschaft – von Obdachlosen in Brisbane bis hin zu Arbeitern in ihrem Alltag.
Konfliktfotografie und die existenzielle Krise
Nach ersten Schritten in Australien zog es Ferguson hinaus in die Welt. Er berichtete über Konflikte in Afghanistan, Irak und anderen Regionen – getrieben von dem Wunsch, an den „großen geopolitischen Geschichten“ teilzunehmen. Doch 2011 erlebte er in Afghanistan eine tiefgreifende Krise:
„I was in an ambush with U.S. Army troops. Sergeant Daniel Quintana was shot, killed quite close to me… And I had this moment of just being like: What am I doing with my life?“
Diese Erfahrung führte ihn dazu, die Wirksamkeit und Ethik von Kriegsfotografie zu hinterfragen. Statt den Krieg zu dokumentieren, verstärke man oft unbeabsichtigt die Narrative der Mächtigen.
Die Rückkehr nach Australien: Big Sky
© Adam Ferguson – Big Sky
Aus dieser Krise heraus entstand Big Sky, Fergusons Langzeitprojekt über das Innere Australiens. Ausgangspunkt war der Wunsch, die romantisierten Outback-Klischees zu hinterfragen:
„I wanted to make a series of images which was an update of that narrative… Something that wasn’t cowboys and sunsets, but a contemporary portrait of rural Australia.“
Big Sky zeigt:
den demografischen und wirtschaftlichen Niedergang ländlicher Regionen,
die Folgen von Mechanisierung, Globalisierung und Klimawandel,
die anhaltende Präsenz kolonialer Geschichte,
die Würde und Stärke indigener Gemeinschaften.
Ferguson arbeitete über ein Jahrzehnt an diesem Projekt, legte über 200.000 Kilometer auf australischen Straßen zurück und verband Porträts mit Landschaften und Symbolbildern.
Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften
Ein zentraler Aspekt von Big Sky ist der respektvolle Umgang mit indigenen Menschen und deren Kultur:
„I asked for permission and then I sat and I waited… I sent the images back to the communities, for them to culturally sign off… It was about giving people a little bit of agency.“
Ein Beispiel ist seine Begegnung mit Daisy Ward, einer Warra-Kerner-Ältesten. Erst nachdem er ihre Familie über Hunderte Kilometer fuhr, öffnete sie ihm die Tür zu ihrem Land und ihren Geschichten. Geduld, Vertrauen und Respekt standen dabei über dem schnellen Bild.
Fotografie zwischen Dokument und Fiktion
Ferguson sieht Fotografie nicht als Abbild der Realität, sondern als komplexes Geflecht aus Perspektiven:
„I don’t think you can ever capture reality… It’s an abstraction, an ecosystem of knowledge… The audience brings their own experience to the picture.“
Damit stellt er die Rolle des Autors in den Vordergrund – und betont zugleich, dass die Rezeption der Bilder immer außerhalb seiner Kontrolle liegt.
© Adam Ferguson – Big Sky
Verantwortung und Ethik in der Fotografie
Besonders in der Arbeit mit Migranten oder Opfern von Gewalt denkt Ferguson über die Verantwortung nach, die mit dem Fotografieren einhergeht:
„Photography can be inherently exploitive… Images sometimes live on beyond the human in them and become a symbol for something else.“
In Mexiko experimentierte er deshalb mit einem partizipativen Ansatz: Migranten fotografierten sich per Fernauslöser selbst. Ferguson wurde zum Facilitator, nicht zum klassischen Autor.
Wandel im Fotojournalismus
Ferguson konstatiert einen tiefgreifenden Umbruch:
Die Rolle des westlichen Fotojournalisten in fernen Konflikten sei weniger wichtig, da lokale Fotografen ihre eigenen Geschichten erzählen.
Smartphones und Social Media hätten das Dokumentieren demokratisiert.
Klassische Magazine und Budgets für Auslandsreportagen seien auf dem Rückzug.
„In some ways, the role of the photojournalist is kind of redundant. But that’s not a bad thing – it’s just the way it is.“
Stattdessen sieht er eine Zukunft in lokalen Geschichten und künstlerischen Projekten.
© Adam Ferguson – Big Sky
Einflüsse und Inspirationen
Ferguson nennt zahlreiche Vorbilder: Gary Knight, Christopher Morris, James Nachtwey, Paolo Pellegrin, Alex Soth. Besonders prägend sei auch Trent Parks Dream Life gewesen – ein Buch, das ihm die Möglichkeiten der Fotografie in der eigenen Heimat aufzeigte.
„If you can photograph your own street, you can photograph anywhere.“
Preise, Bücher und Öffentlichkeit
Auszeichnungen wie der World Press Photo Award halfen ihm, seine Karriere aufzubauen. Heute sind ihm Preise weniger wichtig, doch er betont den Wert von Fotobüchern:
„We printed 2,000 copies of Big Sky. It may be just a drop in the digital ocean, but as a tactile object, a book feels like a meaningful way to share a story.“
Die Zukunft des Bildes
Trotz KI und Bilderflut bleibt Ferguson optimistisch:
„The still image is more important than it’s ever been. The notion of authorship is changing more than the photograph itself.“
Er glaubt an die Relevanz des einzelnen Bildes, auch wenn sich Konsum und Autorenschaft verändern.
Fazit
Das Gespräch mit Adam Ferguson zeigt einen Fotografen, der sich immer wieder neu erfindet – vom Kriegsfotografen zum Chronisten seiner Heimat, vom dokumentarischen Blick zum konzeptionellen Erzähler. Big Sky ist ein Beispiel für Fotografie, die persönliche und politische Ebenen verbindet, koloniale Narrative hinterfragt und zugleich Raum für Würde, Metaphern und Ambiguität lässt.
Fergusons Botschaft: Fotografie bleibt ein starkes Medium – wenn sie Verantwortung übernimmt, zuhört und neue Wege findet, Geschichten zu erzählen.
Ressourcen & Links
Adam Ferguson – Offizielle Website
Big Sky* – Fotobuch von Adam Ferguson
Richard Avedon: In the American West*
Trent Parke: Dream/Life
Fotografen & Einflüsse: Gary Knight, Christopher Morris, Antonin Kratochvil, James Nachtwey, Paolo Pellegrin, Alex Soth, Eugene Richards, Moses Saman
Medien, in denen Fergusons Arbeiten erschienen: The New York Times, National Geographic, TIME Magazine
Über Alex Ferguson
Adam Ferguson ist ein vielfach ausgezeichneter australischer Fotograf und visuelles Storyteller. Er wurde u. a. mit dem World Press Photo Award und dem Sony World Photography Award geehrt, seine Arbeiten erschienen in The New York Times, National Geographic und TIME Magazine.
Mit Projekten wie Big Sky oder Migrantes verbindet er dokumentarische Strenge mit konzeptionellem Ansatz und reflektiert Themen wie Identität, Kolonialismus, Migration und den Wandel ländlicher Räume. Ferguson lebt in Australien und stellt weltweit in führenden Museen und Festivals aus.
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