Zwischen Flutlicht und Filmkorn: Florian Renz und seine visuell-analoge Liebeserklärung an das Stadion von Altona 93
“Altona 93 analog” © Florian Renz
Florian Renz hat mit “Altona 93 analog” eine visuelle Liebeserklärung geschaffen – an den Fußball, an ein altes Stadion und an das Unperfekte. Im Gespräch erzählt er, warum er zwei Jahre lang Spiele des Hamburger Traditionsvereins Altona 93 mit der analogen Kamera begleitet hat, wie aus seiner Faszination ein Fotobuch wurde und warum Authentizität oft dort beginnt, wo Perfektion endet.
„Es ist tatsächlich das zweitälteste noch bespielte Stadion Deutschlands. Wenn man reingeht, fühlt man sich wie in den 50er oder 60er Jahren.“
Florian Renz über „Altona 93 analog“ – Wie ein altes Stadion zum Herzstück seiner Fotografie wurde
Manchmal sind die besten fotografischen Geschichten ganz nah.
Nicht auf Safari in fernen Ländern, nicht auf Reisen in exotische Städte – sondern dort, wo man sich zu Hause fühlt.
Als Florian Renz vor rund zwanzig Jahren nach Hamburg zog, suchte er einfach nur ein Stadion, in dem er Fußball schauen konnte. Ohne Plan, ohne Kamera.
Doch aus der schlichten Liebe zum Spiel wurde über die Jahre ein fotografisches Langzeitprojekt, das viel mehr erzählt als von 90 Minuten Fußball: Es ist ein Porträt über Gemeinschaft, über Vergänglichkeit – und über die Schönheit des Analogen in einer digitalen Welt.
Ein Stadion wie aus der Zeit gefallen
Das Stadion von Altona 93 liegt etwas abseits, im Hamburger Westen. „Es ist tatsächlich das zweitälteste noch bespielte Stadion Deutschlands“, erzählt Florian. „Wenn man reingeht, fühlt man sich wie in den 50er oder 60er Jahren.“
Keine Werbebanden, keine VIP-Logen, keine Hochglanzwelt.
Stattdessen Bauwagen, Punks, Familien mit Hunden, Ultras mit Herz. „Hier ist Fußball noch echt“, sagt Florian. „Hier kostet ein Bier drei Euro, und der Stadionsprecher legt nach dem Spiel selbst Musik auf.“
Was ihn fasziniert, ist die Mischung: ein antikommerzieller Verein mit Geschichte, eine Fanszene zwischen Punkkultur und Nachbarschaft, und ein Stadion, das aussieht, als hätte jemand vergessen, es zu modernisieren – zum Glück.
Vom Fan zum Fotografen
Lange blieb Florian einfach Zuschauer. Erst nach Jahren begann er, die Kamera mitzubringen.
„Ich hatte Lust, wieder ins Stadion zu gehen – und irgendwann kam beides zusammen: meine Liebe zum Fußball und zur Fotografie.“
Er fotografierte analog, ohne Auftrag, ohne Presseausweis. Er bezahlte jedes Ticket selbst, bewegte sich frei auf den Rängen und ließ das Projekt wachsen, ohne es zu forcieren.
„Ich wollte kein Konzept durchdrücken. Ich wollte schauen, was passiert, wenn ich einfach da bin.“
Erst ganz am Ende, nach zwei Saisons, suchte er den Kontakt zum Verein – aus Respekt, wie er sagt:
„Ich wollte das fertige Projekt auf den Tisch legen, nicht leere Versprechungen machen.“
Analog gegen die Zeit
Dass Florian Renz analog fotografierte, war kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung.
„Analogfotografie entschleunigt. Sie macht Fehler – und das passt perfekt zu diesem alten Stadion. Beides ist irgendwie aus der Zeit gefallen.“
Das Korn, die Unschärfen, die Lightleaks: all das trägt für ihn zur Authentizität der Serie bei.
„Ich habe bei Flutlichtspielen mit ISO 3200 fotografiert, gepusht, mit 1/60 Sekunde – das war technisch Wahnsinn, aber es fühlte sich richtig an.“
Eines seiner Schlüsselerlebnisse: ein nebliges Derby gegen Viktoria Hamburg.
„Man sah kaum das Tor, aber es war magisch. Ich hatte das Gefühl, das Stadion selbst atmet in diesen Bildern.“
Der Star ist das Stadion
Im Gegensatz zu klassischen Sportfotografen interessiert sich Renz weniger für die Spieler, sondern für den Ort selbst.
„Mein Held ist das Stadion“, sagt er. „Nicht die Mannschaft.“
Seine Perspektive ist die des Insiders, nicht des Reporters. Er steht in der Kurve, nicht auf dem Spielfeld. Er zeigt Zäune, Flutlichtmasten, nasse Ränge, klebrige Pissoirs voller Aufkleber.
„Diese Orte, die sonst niemand zeigt, haben mich gerufen: ‚Fotografier uns, bevor wir verschwinden.‘“
Sein Ansatz: Nähe durch Zugehörigkeit. Er trägt den Fanschal, trinkt Bier, jubelt mit – und wird Teil des Geschehens.
„Man muss dazugehören, sonst bekommt man keine authentischen Bilder. Das gilt überall – nicht nur im Stadion.“
Editing, Sequenz und der Blick für das Ganze
Nach einem Jahr begann er, seine Negative zu sichten: „Ich habe alle Abzüge ausgedruckt und auf den Tisch gelegt. Dann wurde mir klar: Ich will nicht den Fußball erzählen, sondern das Erlebnis eines Spieltags.“
Das Buch folgt deshalb dem dramaturgischen Bogen eines typischen Spieltags: Vom Weg ins Stadion über den Einlauf der Mannschaften bis zum Moment nach dem Abpfiff.
„Ich habe eine Liste geführt: Was fehlt mir noch? Der Elfmeter, die leere Tribüne, das enttäuschte Gesicht nach einer Niederlage. Bei den letzten Spielen bin ich mit dieser Liste ins Stadion gegangen.“
Den roten Faden fand er schließlich in der Atmosphäre: „Es geht um dieses Gefühl, dort gewesen zu sein.“
Zwischen Nähe, Respekt und Verantwortung
Ein Projekt wie dieses wirft zwangsläufig rechtliche und ethische Fragen auf – gerade bei Bildern von Fans.
„Ich habe sehr defensiv fotografiert“, sagt Florian. „Wenn jemand nicht wollte, habe ich das respektiert. Viele Gesichter sieht man gar nicht – dafür umso mehr Rücken. Das tat mir als Fotograf weh, aber es war der richtige Weg.“
Der Verein gab am Ende grünes Licht. Und Renz gab etwas zurück: **Alle Erlöse seines Buchs gehen an die Jugend von Altona 93.
„Das war mir wichtig. Ich wollte, dass klar ist: Dieses Projekt ist eine Liebeserklärung, keine Ausbeutung.“
Crowdfunding und Medienresonanz
Nach zwei ausverkauften Auflagen startete Florian ein Crowdfunding für eine dritte.
„Ich wollte wissen, ob sich das trägt – und die Resonanz war überwältigend.“
Er investierte in gute Kommunikation: eine klare Projektbeschreibung, ehrliche Bilder, ein kurzes Video.
„Ich habe das Buch intensiv auf Instagram gezeigt, den Verein getaggt – und plötzlich meldete sich das 11 Freunde-Magazin. Das war der Durchbruch.“
Kurz darauf erschien eine ganzseitige Reportage im Hamburger Abendblatt.
Was du aus diesem Gespräch mitnehmen kannst
Beginne mit dem, was du kennst: Große Projekte entstehen oft dort, wo du emotional verwurzelt bist.
Baue Vertrauen auf: Nähe entsteht, wenn du Teil der Geschichte bist – nicht Beobachter von außen.
Reduziere Technik auf das Wesentliche: Analoge Fotografie zwingt zur Achtsamkeit – und öffnet den Blick für Atmosphäre statt Perfektion.
Erzähle Geschichten, keine Sensationen: Der Reiz liegt nicht im Spektakel, sondern im Gefühl, das bleibt.
Mach es einfach: Warte nicht auf Genehmigungen, perfekte Konzepte oder große Reichweite. Fang an – und entwickle das Projekt unterwegs.
Fazit
Florian Renz hat mit “Altona 93 analog” mehr geschaffen als eine Stadionreportage.
Er hat festgehalten, was bald verschwinden wird: den Geist eines Ortes, an dem Fußball noch echt ist.
Sein Projekt erinnert daran, dass gute Fotografie immer dort beginnt, wo man selbst Teil der Geschichte ist – mit Geduld, Respekt und Leidenschaft.
Oder, wie er selbst sagt:
„Ich wollte kein Buch über Fußball machen. Ich wollte zeigen, wie es sich anfühlt, dort zu sein – mit Biergeruch, Nebel und Herzklopfen.“
Links
Webseite von Florian Renz: https://www.florian-renz.de/
Buch: "Altona 93 analog" – erhältlich über das Crowdfunding bei Kickstarter
Podcast: Florian Renz ist Co-Host von Thomas Winter im Podcast "Fotobuch-Ecke"
Vortrag von Erik Schlicksbier bei "Bilderabend" auf YouTube: „Wie drucke ich mein Buch?“
Frühere Veröffentlichung von Florian Renz: "Dear India"
Über Florian Renz
Florian Renz ist Fotograf, Autor und leidenschaftlicher Fußballfan.
Er lebt in Hamburg und arbeitet vor allem an freien Langzeitprojekten zwischen Dokumentation und visueller Erzählung. Mit seinem Fotobuch “Altona 93 analog” hat er dem zweitältesten Stadion Deutschlands ein Denkmal gesetzt.
Zuvor veröffentlichte er das Buch “Dear India”, eine fotografische Liebeserklärung an den Subkontinent.
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