Unter der Oberfläche: Helma und Herbert Frei und die Faszination der Süßwasserfotografie

© Herbert Frei

Helma und Herbert Frei haben mehr als 5000 Tauchgänge hinter sich – nicht in tropischen Riffen, sondern in heimischen Seen, Flüssen und Quellen. Mit unerschütterlicher Neugier und technischer Präzision dokumentieren sie eine Welt, die den meisten verborgen bleibt: das Leben im Süßwasser. In diesem Interview sprechen sie über Pioniergeist, Teamarbeit, Veränderung der Natur – und darüber, warum Leidenschaft manchmal wichtiger ist als perfekte Bedingungen.

Das haben wir noch nie gesehen. Ein Aal und ein Karpfen – aber nicht auf dem Teller, sondern im Wasser!
— Reaktion auf die Fotos von Herbert Frei
 

Manchmal entstehen große Abenteuer ganz leise.

Nicht in fernen Ländern, nicht unter greller Sonne – sondern wenige Meter unter der Wasseroberfläche eines Baggersees.

Als Helma und Herbert Frei in den 1970er-Jahren ihre ersten Tauchgänge wagten, war die Idee, das Leben im Süßwasser fotografisch zu dokumentieren, noch Neuland. Inspiriert von Hans Hass und seinem Forscherdrang begaben sie sich auf ihre eigene Reise: nicht ins Meer, sondern in die Teiche, Flüsse und Seen ihrer Heimat.

Was daraus wurde, ist eine einzigartige Dokumentation des unsichtbaren Lebens unter der Oberfläche – und eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen und einer Idee.

Die Anfänge: Mit einem Messer und einer Vision

„Alle Sporttaucher meiner Generation wurden durch Hans Hass inspiriert“, erzählt Herbert Frei. „Aber der hat ja in der Donau angefangen – nicht im Meer.“

Mit einer gebrauchten Kamera, einem selbstgebauten Unterwassergehäuse und viel Improvisation tauchten Helma und Herbert in die Seen des Schwarzwalds und des Elsass hinab.

Die ersten Bilder waren unscharf, die Technik rudimentär – doch der Forschergeist war geweckt.

Als Herbert seine Dias zum ersten Mal einer Redaktion zeigte, reagierte der Chefredakteur erstaunt:

„Das haben wir noch nie gesehen. Ein Aal und ein Karpfen – aber nicht auf dem Teller, sondern im Wasser!“

Mit dieser Mischung aus Neugier und Ungläubigkeit begann seine Karriere als Unterwasserfotograf.

Der Erfolg kam mit einem einzigen Hechtfoto – ein „Sonntagsschuss“, wie er sagt – das später in Magazinen in Deutschland und den Niederlanden erschien.

Pionierarbeit unter Wasser

Süßwasserfotografie ist nichts für Ungeduldige. Kälte, schlechte Sicht und aufwendige Vorbereitung sind Teil des Alltags.

Doch genau darin liegt für Herbert Frei die Faszination:

Ich muss wissen, wann eine Krötenhochzeit stattfindet – im Oktober geht da gar nichts. Im Süßwasser hast du vier Jahreszeiten – und die bestimmen deine Bilder.
— Herbert Frei

Über die Jahrzehnte sind so einzigartige Aufnahmen entstanden: Hechte bei der Balz, Biber unter Wasser, Aalrutten im Winter. Viele dieser Bilder sind die ersten ihrer Art – und damit auch wertvolle Zeitdokumente einer sich verändernden Natur.

„Ich habe Fotos im Archiv, die heute nicht mehr möglich wären, weil es die Gewässer in dieser Form nicht mehr gibt“, sagt Herbert.

Teamarbeit und Vertrauen unter Wasser

Was diese Lebensgeschichte so besonders macht, ist nicht nur die Leidenschaft für Fotografie – sondern die Art, wie Helma und Herbert Frei sie gemeinsam leben.

„Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau“, sagt Helma, „und unter Wasser trage ich manchmal sogar seine zweite Kamera.“

Die beiden tauchen seit mehr als 60 Jahren zusammen – und verstehen sich unter Wasser blind. Helma findet Motive, reicht Kameras weiter und unterstützt bei der Bildbearbeitung. Herbert weiß:

„Ich könnte so nicht arbeiten, wenn sie nicht dabei wäre. Eine Partnerin, die das nicht mitträgt, hätte ich nie gebrauchen können.“

Gemeinsam haben sie nicht nur ein visuelles, sondern auch ein partnerschaftliches Meisterwerk geschaffen – eine Zweierbeziehung, die sich in Geduld, Disziplin und gegenseitigem Vertrauen spiegelt.

Von klaren Seen zu trüben Wirklichkeiten

Ihre Bilder zeigen nicht nur Schönheit, sondern auch Verlust.

Viele Gewässer, die früher kristallklar waren, sind heute getrübt, überdüngt oder von invasiven Arten verändert.

Helma beobachtet das mit Sorge:

„Früher waren die Seen klarer, sauberer. Heute findest du kaum noch Rotaugen, und manchmal 26 Grad im Sommer. Für Hechte ist das fast tödlich.“

Herbert ergänzt: „Ich habe im Archiv einzigartige Dokumente – und die zeigen, wie schnell sich alles ändert. Man sieht an unseren Bildern, was verloren geht.“

Ihre Fotografie ist dadurch mehr als Kunst – sie ist Chronik, Mahnung und Zeugnis zugleich.

Technik, Disziplin und die Schule der Geduld

Wer mit Herbert Frei über Technik spricht, merkt sofort, dass hier ein Ingenieur am Werk ist.

Seine Begeisterung für Blenden, Objektive und Druckventile ist ansteckend – und doch bleibt immer das Bild im Mittelpunkt.

Unter Wasser gibt es keine zweite Chance. Wenn die Einstellung nicht passt, ist das Motiv weg.
— Herbert Frei

Er schreibt nicht nur Artikel, sondern ganze Bücher über die Technik der Unterwasserfotografie – 34 an der Zahl.

„Ich will, dass Leute verstehen, warum etwas funktioniert. Nicht nur, dass es funktioniert.“

Die Vorbereitung beginnt bei ihm am Abend vor dem Tauchgang: Akkus laden, Anzug prüfen, Dichtungen fetten, Kamera versiegeln.

Und trotz aller Routine gilt: Jeder Tauchgang ist eine neue Wette gegen die Unberechenbarkeit der Natur.

Veränderung und Verantwortung

Im Gespräch wird deutlich, wie eng die beiden ihre Arbeit mit Verantwortung verbinden. Helma warnt vor dem Massentourismus und dem Anfassen von Tieren, Herbert spricht über Klimawandel und den Rückgang der Arten.

„Unsere Enkel werden die Unterwasserwelt nicht mehr so sehen, wie wir sie gesehen haben. Das ist vorbei.“
— Herbert Frei

Und doch bleibt ein Funken Hoffnung.

Denn Fotografie bedeutet auch, aufmerksam zu machen – und Veränderung sichtbar zu machen. Ihre Arbeiten zeigen, was verschwindet, aber auch, was wiederkehrt: Biber, Fische, neue Lebensräume.

Was du aus diesem Gespräch mitnehmen kannst

  • Geduld ist eine Form von Respekt: Die Natur gibt nicht auf Knopfdruck ihre Schätze preis. Fotografie braucht Zeit.

  • Technik ist Werkzeug, nicht Selbstzweck: Entscheidend ist nicht, was du nutzt, sondern wie bewusst du es einsetzt.

  • Teamwork zählt: Ob unter Wasser oder auf der Straße – gute Bilder entstehen durch Vertrauen und gegenseitige Achtung.

  • Dokumentiere, was verschwindet: Gerade die unscheinbaren Orte verdienen Aufmerksamkeit.

  • Bleib neugierig: Die größten Entdeckungen liegen oft direkt vor deiner Haustür – oder unter der Oberfläche.

Fazit

Helma und Herbert Frei haben nicht nur eine fotografische Nische entdeckt, sondern eine Haltung zum Leben. Ihr Werk zeigt, dass Abenteuer nicht immer laut sein müssen – manchmal reichen ein Atemzug, eine Kamera und der Mut, hinzuschauen.

Es ist die Kombination aus Leidenschaft, Wissen und Demut, die ihre Bilder so einzigartig macht – und die uns erinnert, dass die wahre Magie der Fotografie oft unter der Oberfläche liegt.

Dieses Interview wurde im Juni 2025 im Rahmen der Medientage des Open-Air-Fotofestivals “La Gacilly – Baden Photo”.


Helma und Herbert Frei

Helma und Herbert Frei gehören zu den Pionieren der Süßwasserfotografie in Deutschland.

Seit den 1970er-Jahren sind sie gemeinsam unterwegs – in heimischen Seen ebenso wie in den Weltmeeren.

Herbert ist Diplom-Ingenieur für Mess- und Eichtechnik und Autor von über 30 Fachbüchern zur Unterwasserfotografie. Helma unterstützt als Assistentin, Bildbearbeiterin und Motive-Scout – eine unverzichtbare Partnerin auf allen Tauchgängen.


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