SPIEGEL-Bestseller-Autor Adrian Geiges: “Öfter mal die Welt wechseln”

Der Journalist und Autor Adrian Geiges hat sein Leben dem Fernweh verschrieben. Ob Moskau, Rio de Janeiro oder Peking – immer wieder zog es ihn in die Ferne, um neue Kulturen kennenzulernen und als Korrespondent aus erster Hand zu berichten. In diesem Interview teilt er seine Erfahrungen: von politischem Engagement in der Jugend über Jahre in fernen Ländern, mutigen Neuanfängen und Umwegen bis hin zu den Lektionen, die er daraus für sich – und für uns – gezogen hat. Es geht um Reiselust, Perspektivwechsel und authentischen Journalismus.

Ich möchte, dass die Leute, die das Buch lesen, eine interessante und unterhaltsame Lektüre haben – aber auch, dass Sie denken: Vielleicht kann ich das auch mal versuchen und woanders hingehen.
— Adrian Geiges
 

Ein Leben, viele Welten – wie Auslandsreporter Adrian Geiges zum Perspektivwechsel ermutigt

Adrian Geiges verspürte schon früh eine kaum zu stillende Reiselust. Das sei ihm vielleicht „schon in den Genen“ mitgegeben worden – seine Mutter war Flugbegleiterin, sein Vater Fotograf im Ausland, kennengelernt haben sie sich im Flugzeug.

Geprägt haben ihn aber vor allem Bücher, die ihn als Kind auf ferne Länder neugierig machten.

Abenteuerromane und Reportagen wie die von Egon Erwin Kisch weckten den Traum, die Welt zu sehen.

Kaum 18 Jahre alt und selbstbestimmt, setzte er diesen Traum in die Tat um: mit Interrail durch Europa und den ersten Rucksackreisen.

Diese frühe Fernweh-DNA sollte Adrians Lebensweg bestimmen.

Statt eines klassischen Werdegangs am Heimatort zog es ihn immer wieder hinaus. Er erinnert sich an eine Anekdote aus seiner Kindheit: Als seine Mutter ihn einmal zum Spielen in den Sandkasten schicken wollte, protestierte der kleine Adrian empört – dort sei er doch schon gewesen. Dieses sprichwörtliche „Da war ich schon“-Gefühl trieb ihn seitdem an, immer wieder neue Orte zu entdecken und unbekanntes Terrain zu betreten.

Jugend im Sozialismus: Idealismus und Ernüchterung

In seiner Jugendzeit war Adrian politisch hoch engagiert. Geprägt von der Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung der 1970er Jahre, zog es ihn – wie viele seiner Generation – sogar Richtung Kommunismus.

Direkt nach dem Abitur nahm er an einem geheimen Austauschprogramm teil und ging für ein Jahr in die DDR. Dort besuchte er eine sozialistische Schule, an der vor allem Marxismus-Leninismus gelehrt wurde.

Das Beeindruckende: Er traf dort auf Gleichgesinnte aus der ganzen Welt – „Leute vom ANC aus Südafrika, Sandinisten aus Nicaragua, aus Vietnam, aus vielen afrikanischen Ländern…“. Dieses internationale Kameradschaftsgefühl bestärkte ihn zunächst in seinem Idealismus.

„Wir fühlten uns als Teil einer weltweiten Bewegung für das Gute“, erinnert er sich.

Wie die Klima-Aktivisten der heutigen „Letzten Generation“ glaubte auch Adrians Generation, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen und die Welt retten zu müssen.

Doch der Realitätsschock folgte auf dem Fuß.

Wir kamen ja aus der Umweltbewegung und dachten, die Verschmutzung liege am Profitstreben des Kapitals – und dann sahen wir, dass es drüben noch viel schlimmer war.
— Adrian Geiges

Die schönen Theorien stießen in der DDR auf Überwachung, Freiheitsentzug und erschreckende Umweltverschmutzung.

Solche Erlebnisse – ein Fluss voller giftiger Lauge statt Wasser – ließen erste Zweifel am vermeintlichen Arbeiter- und Bauernparadies aufkommen. Dennoch hielt Adrian damals an der Vision eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ fest.

Begeistert von Michail Gorbatschows Reformkurs zog er 1989 – kurz vor dem Zerfall der UdSSR – nach Moskau, in der Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft. Doch auch dort erlebte er hautnah, wie ein System kollabiert: leere Läden, stundenlange Schlangen für Brot, ein ganzes Land im Umbruch.

Spätestens da erkannte er, „dass dieses System keine Alternative ist“.

Die frühe Lektion aus Adrians politischer Biografie: Große Ideale können in der Praxis an der Realität zerschellen – und fanatischer Eifer bewirkt manchmal genau das Gegenteil des Beabsichtigten.

Ungewöhnliche Wege ins Ausland – und nie aufgeben

Der Wechsel nach Moskau markierte den Auftakt zu Adrians internationaler Karriere, verlief aber alles andere als geradlinig. Eigentlich wollte er Auslandsjournalist werden, doch der direkte Weg war versperrt: Die renommierten Journalistenschulen, bei denen er sich beworben hatte, nahmen ihn trotz Finalrunde nicht auf.

Also ging er zunächst den bodenständigen Weg und lernte das Handwerk von der Pike auf: Volontariat im Lokaljournalismus bei den Westfälischen Nachrichten. Auch wenn die Themen dort provinziell und dröge schienen – Adrian bereut diese Zeit keineswegs.

Jede Erfahrung bereichert: „Alle Wege zum Ziel sind interessant“, sagt er rückblickend.

Wichtig sei, niemals aufzugeben – auch dann nicht, wenn es beim ersten oder zweiten Anlauf nicht klappt. Geiges’ Durchhaltevermögen zahlte sich aus. „Das Ziel, in die Welt zu gehen, habe ich nie aufgegeben, sondern immer wieder auf neue Art versucht“.

Das Ziel, in die Welt zu gehen, habe ich nie aufgegeben, sondern immer wieder auf neue Art versucht“
— Adrian Geiges

So bewies er früh Mut zu Umwegen. Als sich keine Stelle als Auslandskorrespondent bot, schuf er sich selbst eine Eintrittskarte nach Moskau: Er nahm einen Job als Lektor bei einem sowjetischen Verlag an.

Obwohl das nicht seinem gelernten Beruf entsprach, folgte er seiner Leidenschaft, „weil ich nach Moskau wollte“. Vor Ort suchte er dann nach Möglichkeiten, zurück in den Journalismus zu wechseln. Russische Sprachkenntnisse und Beharrlichkeit halfen: Schließlich holte ihn ausgerechnet Gerd Ruge, der legendäre ARD-Korrespondent, in sein Team.

Geiges begann als Producer – eine Art Assistent – für Ruge in Moskau. Dieser Einstieg, so ungewöhnlich er war, eröffnete ihm die Welt des Fernsehjournalismus, in der er zuvor keine Erfahrung hatte.

Adrian Geiges erzählt diese Geschichte, weil sie exemplarisch zeigt: Karrieren verlaufen nicht immer geradlinig. Manchmal muss man Seitentüren benutzen und Chancen ergreifen, die auf den ersten Blick gar nicht zum ursprünglichen Plan passen. Wer bereit ist, einen Schritt zurück oder zur Seite zu machen, kann seinem Traum trotzdem näher kommen – solange man das Ziel im Auge behält und nicht aufgibt.

Im Rückblick ist er dankbar für jeden dieser Umwege: Ob Lokalredaktion oder Verlagslektorat – jede Station brachte neue Kenntnisse und Kontakte, die später wertvoll wurden.

Auslandsjournalist aus Leidenschaft: „berichten, was ist“

Der Sprung ins Team von Gerd Ruge war für Geiges der Startschuss zu einer Laufbahn als Auslandsreporter. Von Moskau aus berichtete er für die ARD, später als Korrespondent für RTL aus Russland.

Er produzierte Dokumentationen für Spiegel TV, interviewte Jelzin und erlebte Putschversuche – oft hautnah.

Über die Jahre arbeitete Adrian Geiges auf allen Kontinenten: Er lebte in Hongkong während der Rückgabe an China 1997, als TV-Korrespondent in New York, als Leiter eines Verlages in Shanghai und schließlich wieder als Journalist in Peking und Rio de Janeiro.

Bei all dem behielt er sich eine Haltung bei, die er von Mentoren wie Ruge und Stefan Aust gelernt hat: Journalismus sollte nicht Aktivismus sein, sondern möglichst unvoreingenommen erzählen, „was ist“.

Geiges betont, dass Journalisten nicht ihre eigene Agenda verfolgen, sondern den Menschen die Fakten und Geschichten liefern sollen, damit diese sich ihr eigenes Bild machen.

Er beobachtet kritisch, dass heute manche junge Reporter lieber Missionare einer Sache sein wollen.

Wir als Journalisten, wir sollten erzählen, was ist, und was die Leute daraus für Schlussfolgerungen ziehen, das sollen sie selbst entscheiden.
— Adrian Geiges

Diese objektive Erzähllust – die Welt zeigen, wie sie wirklich ist – prägt Adrians Arbeit bis heute.

Doch was heißt das konkret für einen Auslandskorrespondenten? Geiges erklärt es an einem Beispiel aus der Nachrichtenwelt: „Hund beißt Mensch“ ist keine Schlagzeile – das passiert zu oft.

„Mensch beißt Hund“ schon, denn das ist ungewöhnlich. Sprich: Medien berichten vor allem über das Außergewöhnliche, Schockierende.

Gerade bei fernen Ländern kann das aber zu einem verzerrten Bild führen. China zum Beispiel: Die westlichen Medien berichten – zu Recht – viel über Menschenrechtsverletzungen oder Skandale dort. Doch wer China selbst nie besucht hat, könnte meinen, dort passierten nur schreckliche Dinge.

Adrian Geiges hält dagegen: Auch in China führen Milliarden von Menschen einen normalen Alltag, lachen, leiden, machen Fortschritte.

Ihr Lebensstandard hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm verbessert. Deshalb gehört für ihn zu gutem Auslandsjournalismus, den Alltag der Menschen zu zeigen – jenseits von Regimen und Katastrophen.

  • Wie wohnen die Leute?

  • Was essen sie?

Solche Fragen interessieren ihn, weil sie das Fremde vertrauter machen.

Diese Sichtweise prägte auch seine Kriegsberichterstattung. Geiges war in Tschetschenien und im zerfallenden Jugoslawien als Reporter im Einsatz. Natürlich ging es dort um Frontberichte und politische Lage – doch ebenso wichtig fand er, zu zeigen, wie Menschen selbst im Krieg versuchen, ihren Alltag zu leben.

Während die Weltpresse über Gefechte und Diplomatie schreibt, suchte Adrian nach Geschichten vom Durchhalten: Familien, die trotz Lebensgefahr kochen und Kinder versorgen, oder kleine Gesten von Menschlichkeit im Chaos.

Auch in einem Krieg gehen Menschen ihrem Alltag nach... sind großen Gefahren ausgesetzt und versuchen doch, soweit es geht, gut zu leben.
— Adrian Geiges

Solche Eindrücke rücken die Menschlichkeit im Unmenschlichen ins Bild – ein Aspekt, der ihm besonders am Herzen liegt.

Perspektivwechsel in der Favela

Einen seiner tiefsten Perspektivwechsel erlebte Adrian Geiges in Rio de Janeiro.

Von 2013 bis 2016 lebte er dort als Korrespondent – und entschied sich für ein ungewöhnliches Wohnquartier: Er zog in eine Favela. Die Favelas, die Armenviertel auf Rios Hügeln, gelten vielen Außenstehenden als No-Go-Areas voller Gewalt. Doch Geiges wollte die Realität selbst erfahren, anstatt Klischees zu glauben. „Ich habe in Rio tatsächlich in einer Favela gelebt“, erzählt er – sehr zur Verwunderung mancher brasilianischer Freunde.

Was er dort erlebte, räumte mit vielen Vorurteilen auf: Natürlich gibt es Gefahren in den Favelas, aber die liegen nicht in jedem Winkel auf der Lauer. „Das Gefährliche in Favelas ist, dass viele noch von Drogen-Gangs beherrscht werden und es zu Schießereien kommt – die Gefahr ist, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein“, erklärt Geiges.

Willkürliche Überfälle auf jeden Fremden gehören hingegen nicht zum Alltag. Im Gegenteil: Adrian wurde in seinem Viertel herzlich aufgenommen. „Ich bin da sofort wie ein alter Nachbar aufgenommen worden“, erinnert er sich.

Die Gemeinschaft in der Favela war eng – jeder kennt jeden, man grüßt sich auf der Straße. Am Wochenende ging er einfach auf den Platz im Viertel, „alle standen mit der Bierflasche in der Hand“ zusammen – und Adrian mittendrin, als gehörte er schon immer dazu.

Die Nachbarschaft schätzte es, dass ein Ausländer keine Berührungsängste hatte und zu ihnen zog. Viele wohlhabende Cariocas meiden die Favelas aus Angst, ohne je einen Fuß hineinzusetzen. Für Geiges wurde das Leben dort zu einer Lektion in Demut und Differenzierung: Favelas sind nicht per se „Höllenlöcher“, sondern vor allem informelle Siedlungen von Menschen, die sich die teuren Mieten der Stadt nicht leisten können.

Über die Jahrzehnte sind viele Bewohner wirtschaftlich aufgestiegen und könnten wegziehen – bleiben aber, weil die Familie und Gemeinschaft dort ihr Zuhause sind. In „seiner“ Favela gab es sogar postkartenreife Ausblicke: Weil die Armenviertel an den Berghängen liegen, hatte Adrian von seiner einfachen Wohnung aus direkten Blick aufs Meer und den berühmten Zuckerhut – „wirklich einer der grandiosesten Ausblicke, die es gibt“.

Zugleich lernte er die Probleme kennen: Im heißen Sommer fiel oft das Wasser aus, und auch er musste dann mit dem Eimer zum Brunnen, um Wasser zum Duschen zu schöpfen. Diese Zeit hat Adrian Geiges verändert. Sie zeigt exemplarisch, warum ihm Schwarz-Weiß-Denken zu kurz greift: Weder sind Favelas nur gefährliche Elendsviertel, noch ein romantisches Idyll – sie sind komplexe Lebensräume, mit schwierigen Bedingungen, aber auch mit Wärme, Kultur und Zusammenhalt. Genau solche vielschichtigen Geschichten will er erzählen.

Sprachen öffnen Türen

Eine Schlüsselrolle bei jedem Perspektivwechsel spielt für Geiges die Sprache. Ob Russisch, Chinesisch oder Portugiesisch – Adrian hat sich stets bemüht, die Landessprache zu lernen, um wirklich einzutauchen. Sein Tipp: Das geht nur vor Ort und nur, wenn man die eigene Komfortzone verlässt.

Man kann die Sprache nur im Land richtig lernen und da ist es wichtig, sich mit Leuten aus dem Land zu umgeben, die kein Englisch – und schon gar kein Deutsch – sprechen können.
— Adrian Geiges

Viele Expats machen genau das falsch: Sie bleiben untereinander und reden bequem Englisch. Geiges hingegen suchte immer die Gesellschaft Einheimischer – selbst wenn die Verständigung anfangs holprig war. Interessanterweise hält er sich nicht für besonders sprachbegabt. „Sprachbegabt sind Leute, die musikalisch sind (…) Ich bin nicht musikalisch und habe in allen Sprachen einen starken Akzent“, sagt er.

Aber darauf kommt es ihm nicht an: „Ich kann mich verständigen, weil ich mich immer gezwungen habe, die Sprache zu sprechen.“ Perfektion ist zweitrangig – Mut und Übung sind alles.

Nebenbei führen gerade Sprachkurse oft zu spannenden Begegnungen. So war es ein Portugiesisch-Kurs in Hamburg, durch den Adrian überhaupt erst die Idee bekam, in einer Favela zu leben. Eine brasilianische Bekanntschaft aus dem Unterricht lud ihn ein, das Leben dort kennenzulernen.

Es sind diese ungeplanten Zufälle, die neue Wege öffnen – sofern man bereit ist, sie zu ergreifen.

In Adrians Fall wurde aus der Bekanntschaft eine Freundschaft und schließlich ein unvergessliches Kapitel in seinem Lebenslauf.

Mut zum Neustart – vom Reporter zum Manager

Geiges’ Geschichte zeigt eindrucksvoll, wie wechselnde Perspektiven auch beruflich Türen öffnen können. Mitte der 2000er wagte er einen radikalen Branchenwechsel: Vom Reporter wechselte er zeitweise ins Management. Im Jahr 2000 übernahm er den Aufbau des Verlagsgeschäfts von Gruner + Jahr in China und wurde Geschäftsführer in Shanghai.

Dass aus dem eingefleischten Journalisten ein Manager wurde, überrascht – ihn selbst vielleicht am meisten. „Das hätte man bei meinem bunten Lebenslauf gar nicht erwartet – weder, dass ich mich bewerbe, noch dass ich genommen werde“, schreibt er in seinem Buch.

Wie kam es dazu? Adrian erzählt, dass er durch einen Zufall von der offenen Stelle erfuhr. Doch statt sich von Selbstzweifeln bremsen zu lassen („Das schaff ich doch nie“), ging er strategisch vor. Er griff zu einem Ratgeber – „The Complete Idiot’s Guide to the Perfect Interview“* –, um sich in Sachen Bewerbung schlauzumachen.

Diese Lektüre zahlte sich aus: Geiges erkannte, dass er im Vorstellungsgespräch die Perspektive wechseln musste. Es ging nicht darum, seine eigene Reiselust zu betonen, sondern aus Sicht des Unternehmens zu denken: Was habe ich zu bieten?

Er analysierte seinen Werdegang und merkte, dass seine ungewöhnlichen Erfahrungen durchaus Stärken sind: „Ich habe gelernt, nicht zu sagen: ‘Ich will ins Ausland’, sondern zu überlegen: Was interessiert das Unternehmen? Mit meinem bunten Lebenslauf habe ich sehr viele Fertigkeiten, die auch für so ein Unternehmen wertvoll sein könnten. In dem Fall: Ich kann Chinesisch und habe China kennengelernt…’“

Diese Eigenschaften – Sprachkenntnis, Insider-Erfahrung, interkulturelle Kompetenz – stellte er im Bewerbungsgespräch in den Vordergrund. Und er überzeugte: Er bekam den Job. Die Lektion daraus: Oft muss man nur seine Sichtweise ändern, um den eigenen Mehrwert erkennbar zu machen.

Adrians Sprung ins Management war letztlich ein Produkt aus Neugier, Selbstvertrauen und der Bereitschaft, etwas völlig Neues zu probieren.

Nach ein paar erfolgreichen Jahren im chinesischen Verlagswesen kehrte Geiges wieder in den Journalismus zurück – doch die Erfahrung möchte er nicht missen. Sie hat seinen Horizont erweitert und gezeigt, dass ein Neustart jederzeit möglich ist.

Ähnlich ging es mit seiner neuesten Rolle: Lektor auf Kreuzfahrtschiffen.

Vor einigen Jahren entdeckte Adrian über einen Kollegen zufällig diesen ungewöhnlichen „Job“: Als Gastredner an Bord großer Schiffe hält er Vorträge über die angelaufenen Länder und Städte – gespickt mit eigenen Fotos, Videos und Anekdoten.

Seit 2018 reist er nun jeden Winter einige Wochen auf den Routen der AIDA-Flotte, teilt Geschichten über die Welt und entdeckt selbst noch neue Orte.

Gerade dieser Wechsel brachte ihm viel Freude: „Bei diesen Schiffsreisen lerne ich nun mal sehr viele schöne Seiten der Welt kennen“ – Seiten, die im Krisen-geprägten Reporteralltag oft zu kurz kommen.

Vom abgelegenen Osterinsel-Atoll bis zu Hafenstädten in Afrika hat er so noch einmal ganz andere Facetten unseres Planeten erlebt.

Für Geiges ist das Abenteuer Kreuzfahrt ein weiteres Beispiel, wie wichtig es ist, offen für Neues zu bleiben. Zufall bedeutet oft, sich auf etwas einzulassen, das man zunächst gar nicht auf dem Schirm hatte, sagt er sinngemäß.

Sein Rat: Einfach mal machen – und staunen, wohin es führt.

Und was ist mit der Karriere? Viele Menschen fürchten, ein unkonventioneller Auslandsabstecher oder Branchenwechsel könnte den Lebenslauf „beschädigen“. Adrian Geiges’ Erfahrung zeigt das Gegenteil.

Normalerweise verbessert man damit sogar die eigenen Chancen im Leben deutlich, wenn man sich traut.
— Adrian Geiges

Seine Auslandserfahrungen – von Moskau bis Rio – haben ihm Türen geöffnet, die er sonst nie gefunden hätte. Mut wird belohnt, beruflich und persönlich. Die größte Hürde sei meist die Angst: Angst vor dem Unbekannten, vor vermeintlichen Gefahren oder vor dem Karriereknick.

Doch wer diese Angst überwindet, stellt oft fest, dass sie unbegründet war – und dass jenseits der Komfortzone Wachstum wartet. „Man muss nicht bis zur Rente warten“, appelliert Geiges.

Viele träumen davon,später einmal die Welt zu sehen, „wenn ich mal Zeit habe“.

Doch warum so lange warten, fragt er sich: „Man kann das schon deutlich vorher machen und wird sogar noch dafür bezahlt, wenn man beruflich ins Ausland geht.“

Sein eigenes Leben ist der beste Beweis dafür.

Deutschland mit anderen Augen sehen

Wer viel Zeit im Ausland verbringt, kehrt mit geschärftem Blick in die Heimat zurück. So ging es auch Adrian Geiges. „Ein großer Reiz des Auslandlebens ist, dass man Deutschland mit anderen Augen sieht“, sagt er.

Wir Deutschen sind sehr streberhaft, nehmen alles viel ernster als man es nehmen müsste und machen uns dadurch viel Freude am Leben kaputt.
— Adrian Geiges

Tatsächlich neigen wir dazu, zuerst die Probleme zu fokussieren und uns schnell zu beklagen – obwohl es uns objektiv sehr gut geht. Er nennt ein Beispiel: Trotz weltweit höchstem Lebensstandard regen wir uns im Alltag über Kleinigkeiten furchtbar auf. Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, Missstände beheben zu wollen.

Aber dieses ständige Unzufriedensein, dieses Durchsuchen nach dem Haar in der Suppe – das sieht er in kaum einem anderen Land so ausgeprägt wie in Deutschland. Ein Stück mehr Gelassenheit würde uns guttun, findet Adrian.

Gerade die Distanz zeigt nämlich, dass viele hiesige Debatten sehr deutsch sind. Geiges nennt das Gendern als Beispiel: In Deutschland tobt eine regelrechte Kultur-Schlacht um Sternchen und Sprachformen.

Doch wenn man andere Sprachen kennt, relativiert sich das: „In den meisten Sprachen ist Gendern gar nicht möglich… Im Chinesischen gibt es überhaupt nicht Unterscheidung von ‘er’ und ‘sie’.“

Was hierzulande mit großem Eifer ausgefochten wird, ist anderswo gar kein Thema – schlicht weil es sprachlich und kulturell keine Entsprechung gibt.

Dieser Perspektivwechsel soll nicht heißen, dass man alle deutschen Anliegen für überflüssig erklärt. Aber er hilft, die Dinge ins Verhältnis zu setzen und manchmal entspannter zu diskutieren.

Ähnliches gilt für das politische Engagement der Jugend.

Adrian Geiges kann die heutigen Klima-Aktivisten von Fridays for Future oder Extinction Rebellion gut verstehen – er war ja selbst einmal ein radikaler Weltverbesserer. Doch aus seiner Lebenserfahrung mahnt er zur Selbstreflexion.

Wenn man glaubt, nur wir wissen, wie man eine gerechte Welt schaffen kann und allen anderen den eigenen Willen aufzwingen muss, das kann sehr gefährlich sein.
— Adrian Geiges

Historisch gesehen beginnt so mancher Fanatismus mit edlen Motiven. Geiges zieht sogar Parallelen zur Geschichte: Auch die Mitglieder der 68er-Bewegung oder der RAF starteten mit idealistischen Ideen, die dann in Gewalt umschlugen. Natürlich vergleicht er heutige Klimaschützer nicht mit Terroristen.

Ihm geht es um die Gefahr der Absolutheit: Wenn man die Welt nur noch in Gut und Böse einteilt und glaubt, der „gute Zweck“ heilige alle Mittel, verliert man leicht den Respekt vor Andersdenkenden. Adrians Motto lautet dagegen: Es gibt unzählige Grautöne.

Die Welt ist nicht schwarz-weiß, wir Menschen sind sehr komplexe Wesen.
— Adrian Geiges

Diese Erkenntnis hat sich bei ihm durch die vielen Auslandsaufenthalte eingeprägt. Denn er hat erlebt, dass die „großen Themen“ weltweit sehr unterschiedlich bewertet werden: In Deutschland steht etwa der Klimaschutz ganz oben auf der Agenda, während in ärmeren Ländern oft Entwicklung, Bildung oder Hunger drängendere Probleme sind.

Der Blick von außen relativiert also manches und schafft Verständnis dafür, dass es mehr als eine Wahrheit gibt.

Letztlich plädiert Geiges dafür, engagiert zu bleiben, aber auch offen für andere Sichtweisen.

Sein eigenes Lebensmotto – „öfter mal die Welt wechseln“ – kann man dabei durchaus wörtlich nehmen: Wer sich regelmäßig aus seiner Blase herauswagt, in fremde Kulturen eintaucht und mit Menschen anderer Hintergründe spricht, der erweitert seinen Horizont und lernt, die eigene Heimat neu zu schätzen (trotz aller Unvollkommenheiten).

Tipps: Was wir von Adrian Geiges lernen können

Adrian Geiges’ Geschichten inspirieren dazu, über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Was kannst du aus dem Interrview mitnehmen?

Hier einige Learnings aus dem Gespräch, die Mut machen, das Leben abenteuerlicher zu gestalten:

  • Nie beim ersten Rückschlag aufgeben: Wenn ein Traum nicht gleich klappt – dranbleiben und neue Wege probieren. Ausdauer zahlt sich aus.

  • Umwege als Chance sehen: Karriere und Leben verlaufen nicht linear. Ein Quereinstieg oder Seitenpfad kann genau der richtige Weg zum Ziel sein. Jede Erfahrung bringt einen weiter, selbst wenn sie zunächst „off topic“ scheint.

  • Mut zum Perspektivwechsel: Trau dich, deine Welt zu wechseln – sei es ein Ortswechsel ins Ausland, ein Branchenwechsel oder einfach mal die gewohnte Denkweise zu hinterfragen. Andere Blickwinkel eröffnen neue Möglichkeiten.

  • Sprachen vor Ort lernen: Es lohnt sich, die Sprache eines Landes zu sprechen – auch mit Akzent. Suche den Kontakt zu Einheimischen statt in der Expat-Blase zu bleiben. Sprache ist der Schlüssel, um wirklich teilzuhaben (und nebenbei entstehen wertvolle Freundschaften).

  • Nicht bis zur Rente warten: Wenn dich das Fernweh packt, schiebe es nicht endlos auf. Es gibt Wege, im Beruf ins Ausland zu gehen und dort bezahlt Erfahrungen zu sammeln. Der Mut wird oft belohnt – persönlich und sogar karrieretechnisch.

  • Komfortzone verlassen: Ob Favela-Besuch, neuer Job oder unbekanntes Land – Wachstum findet außerhalb der Komfortzone statt. Viele Ängste (vor Gefahr, Scheitern etc.) sind übertrieben. Mach den ersten Schritt und erlebe, dass du daran wächst.

  • Offen bleiben für Zufälle: Chancen klopfen oft unverhofft an die Tür – man muss sie nur erkennen. Ein Facebook-Post brachte Adrian auf die Idee mit den Kreuzfahrt-Vorträgen. Sein Prinzip: Sag auch mal Ja zu etwas, das nicht geplant war.

  • Die Welt ist komplex, Urteile mit Vorsicht: Halte Ausschau nach den Grautönen. Nicht vorschnell Pauschalurteile fällen – weder über fremde Länder (z.B. „alle Favelas sind gefährlich“) noch im eigenen Umfeld („alle anderen liegen falsch“). Die Realität ist meist vielfältiger, als man denkt.

Fazit

Adrian Geiges hat sich entschieden, „sein ganzes Leben zum Abenteuer zu machen“.

Dieser Satz aus seinem Buch ist keine Übertreibung: Vom geheimen DDR-Studium bis zum Kreuzfahrt-Dozenten zieht sich die Abenteuerlust wie ein roter Faden durch sein Leben.

Dabei geht es ihm nicht um Nervenkitzel im klassischen Sinne – Bungee-Jumping oder waghalsige Aktionen überlässt er anderen. Sein Verständnis von Abenteuer ist tiefer.

Für mich bedeutet Abenteuer, ganz neue Sachen kennenzulernen, neue Erfahrungen zu machen… Erfahrungen in anderen Ländern und Kulturen sammeln. Das macht für mich den Sinn des Lebens aus.
— Adrian Geiges

Geiges zeigt, dass Abenteuer kein Zustand, sondern eine Haltung ist.

Es heißt, neugierig zu bleiben, sich immer wieder auf Unbekanntes einzulassen und das Leben als fortwährende Lernreise zu begreifen.

Am Ende unseres Gespräches bleibt vor allem eines hängen: Inspiration.

Adrians Geschichten machen Mut, die eigene „Welt“ ab und zu zu wechseln – sei es geografisch oder mental. Sie erinnern daran, dass die Welt groß und voller Möglichkeiten ist. Und sie beweisen, dass man mit Offenheit, Mut und Hartnäckigkeit tatsächlich ein Leben führen kann, das so bunt und reich an Erfahrungen ist wie ein Roman.

Wer Adrians Weg verfolgt, spürt: Hier ist jemand unterwegs, und zwar im umfassendsten Sinne des Wortes – unterwegs zwischen Ländern, Kulturen, Ideen.

Seine Botschaft an uns lautet: Macht euch auf den Weg, es lohnt sich.

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Über Adrian Geiges


Adrian Geiges (geb. 1960) ist Journalist, Autor und Filmemacher. Er studierte Publizistik, Geschichte und Politik in Münster sowie später Russisch und Chinesisch. Nach einem Volontariat bei den Westfälischen Nachrichten arbeitete er als Reporter und war u. a. in China, Kuba, Vietnam und der Sowjetunion unterwegs.

1990 zog er als Producer für ARD-Korrespondent Gerd Ruge nach Moskau, später wurde er Russland-Korrespondent von RTL. Es folgten Stationen bei Spiegel TV, als Kriegsreporter in Tschetschenien, als TV-Korrespondent in Hongkong und New York sowie als Asien-Korrespondent des stern in Peking.

Ab 2000 leitete Geiges das China-Geschäft von Gruner + Jahr in Shanghai, später lebte er in Rio de Janeiro und berichtete für den Focus über die WM 2014 und Olympia 2016.

Heute arbeitet er freiberuflich, u. a. als Vortragender auf Kreuzfahrtschiffen.

Zu seinen bekanntesten Büchern zählen die Autobiografie „Öfter mal die Welt wechseln“* (2023) und die gemeinsam mit Stefan Aust verfasste Biografie „Xi Jinping – Der mächtigste Mann der Welt“* (2021).

Adrian Geiges lebt in Hamburg.


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